Samstags ab zum Wannenbad
Von Rehburgs altem Badehaus
Geschichten rund ums Wasser? Sieglinde und Gerd Artmann können sie erzählen. Denn dort, wo sie heute im Wohnzimmer sitzen, haben sich noch vor Jahrzehnten Rehburger:innen entblättert, um zu ihrem wöchentlichen Wannenbad zu kommen.
Wo die Rehburger:innen früher badeten, leben heute Sieglinde und Gerd Artmann. ade
„Die Badezeit beträgt für jedes Wannenbad mit An- und Auskleiden eine halbe Stunde, für jedes Brausebad 10 Minuten.“ Nachzulesen im „Badetarif“, den der Verein für Wohlfahrtspflege 1917 veröffentlichte. Kurz zuvor hatte Rehburg ein Badehaus bekommen. Wer sich abbrausen wollte, zahlte 10 Pfennig, fürs Räkeln in der Wanne nahm Badewärter Schmidt 25 Pfenning – sofern es sich um Rehburger:innen handelte. „Fremde“ mussten 75 Pfennig auf den Tisch legen.
Eine exponierte Lage hatte dieses Badehaus. Mitten im Ort, vom Raths-Keller nur durch den Steinhuder Meerbach getrennt. Entsprechend ansprechend zeigte sich auch die äußere Hülle des Häuschens. Verspielt die Fassade, ein säulenähnlicher Vorbau, auf dem Dach zierliche Fledermausgauben. Damit fügte es sich nahtlos in die zahlreichen Gebäude ein, die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Ort entstanden waren: Bauten von Wilhelm Meßwarb, der nicht nur Architekt, sondern auch Bürgermeister des Städtchens war.
Blaupause: Der Grundriss zeigt den achteckigen Wartebereich ebenso wie die drei Räume mit den Wannenbädern. BHV
Ein Grundriss des Badehauses hat im Archiv von Rehburgs Bürger- und Heimatverein die Zeit überdauert und macht deutlich, dass jener Bürgermeister an der Fassade nicht Halt machte. Dem Wartezimmer verlieh er eine besondere Note, indem er es achteckig plante und den Sonnenschein durch ein großzügiges Oberlicht ins Haus holte.
„Das war noch so, als wir hier eingezogen sind“, erinnert sich Sieglinde Artmann. Achteck und Oberlicht mussten weichen, weil sie denkbar ungeeignet für das Blumengeschäft waren, das das junge Ehepaar plante. Ebenso erging es den nicht gar so prunkvollen Badezimmern. „Der Boden war nackter Beton, die Wände ebenso“, erinnert sich Sieglinde Artmann, lacht und fügt hinzu: „Ein bisschen wie im Gefängnis kam man sich vor.“
Samstags mit Handtuch und Seife zum Bad
Badehaus und Wannen kannte sie bereits seit Beginn der 1960er Jahre. Damals kam sie „in Stellung“ beim Textilgeschäft Rabe nach Rehburg. Ein Badezimmer durfte sie dort nicht nutzen. Also nahm sie wie viele andere Rehburger:innen samstags Handtuch und Seife unter den Arm und ging zum Badehaus. 50 Pfennig kostete das Vergnügen.
Die alte Ansicht des Badehauses hängt im Flur von Familie Artmann – und zeigt ein wenig von der Pracht des Meßwarb-Baus. privat
Daran, dass Gäste nach dem Betreten des Hauses sofort von dichtem Wasserdampf umhüllt wurden, kann Gerd Artmann sich noch bestens erinnern. Ebenso wie daran, dass der Badewärter sämtliches Wasser nach Gebrauch in den Meerbach leitete. „Das hat dem Bach und den Fischen nichts ausgemacht. War doch nur Kernseife“, sagt er – um sich von seiner Frau eines Besseren belehren zu lassen: Die Damen hätten seinerzeit Seife der Marke Lux bevorzugt.
Doch der Fortschritt kehrte auch in Rehburg ein: Mitte der 1960er Jahre verfügte der überwiegende Teil der Bevölkerung über Badezimmer. Sinn und Zweck des Badehauses hatten sich überlebt. Der Rat beschloss, den Betrieb zu schließen und das Haus zu verkaufen. Das kam Familie Artmann gerade recht. Sie baute um und zog ein, verkaufte erst Blumen und richtete sich später das Wohnzimmer dort ein, wo die Rehburger:innen einst badeten. Ein wenig bereuen sie heute lediglich, dass sie den überbordenden Schmuck der Front seinerzeit abklopften.
Einer von mehreren Entwürfen Meßwarbs für die Ansicht des Badehauses, die im Archiv des Bürger- und Heimatvereins bewahrt werden. BHV
Doch woher kam 1917 der Wunsch nach einem Badehaus? Hatte das saubere Wasser, das Rehburg seit 1888 durch eine Leitung von den Rehburger Bergen zur Verfügung stand, Begehrlichkeiten geweckt? War Bad Rehburg Vorbild, in dem ein erstes Badehaus zu Kurzwecken bereits 1753 errichtet worden war? War es dem Zeitgeist geschuldet? Oder dem Bürgermeister, der mehr als nur einen großen Plan für sein Städtchen ersann?
Antworten auf diese Fragen gibt es nicht mehr – ebenso wenig wie darauf, weshalb die Badelust im reinen Wasser nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Zeit einem Medizinalbad weichen musste.
Eines hatte Rehburg im Überfluss: Moor
Wenn nach dem Krieg auch an vielem Mangel herrschte, so war den Rehburger:innen eines stets im Überfluss gewiss: Moor. In den Anfängen Rehburgs war dieses Moor wohl einer der Gründe, an diesem Platz zu siedeln. Welcher Feind wagte es schon, sich einem Dorf zu nähern, wenn stets die Gefahr bestand, im Untergrund zu versinken? Der Segen war aber auch Fluch, denn die Häuser mussten aufwändig auf Pfählen gegründet werden, um nicht zu versinken. Doch bereits seit dem 14. Jahrhundert war bekannt, dass Moorbäder bei Gelenkerkrankungen lindernde Wirkung haben können.
Auf diesen Zug sprang der Magistrat auf. Der Badewärter hatte fortan damit zu tun, Moor aus den Uferbereichen des Meerbachs in die Wannen zu schleppen, wusste Werner Hübner, ein weiterer Bürgermeister des Städtchens, in seiner Chronik zu berichten.
Des Wärters Hand irritiert die Damen
Diese Episode soll jedoch bald beendet worden sein. Nicht etwa wegen mangelnden Interesses an der heilenden Wirkung des Moores, sondern wegen fehlender Thermometer. Um die Temperatur der Moorbäder zu kontrollieren, habe der Badewärter seine Hand in die Masse tauchen müssen. Die darin liegenden Damen, führte Hübner aus, seien gelinde gesagt irritiert gewesen. Und in vielen Fällen wohl kein zweites Mal gekommen. Das medizinale Gastspiel war damit beendet und in die Wannen floss noch bis 1965 klares Wasser.
Von allen Wannen und Brausen, Oberlicht, Fassadenzier und Technik ist Gerd Artmann neben dem alten Foto im Flur lediglich eine Kohleschaufel geblieben.
Januar 2025
Beate Ney-Janßen