Das Betreten des ehemaligen Standortes des Tankstofflagers ist nach wie vor verboten. 

Stadtgeschichte(n)

aus Rehburg-Loccum

Der Kalte Krieg und die Heide

Der Kalte Krieg und die Heide 

30 Jahre Bundeswehrstandort prägten Loccum

„Die scharfen Kommandorufe, das Poltern der schweren Stiefel auf den langen Kasernengängen und das Knallen der metallenen Spindtüren, die jahrzehntelang die weißen Baracken des Birkenlagers Loccum erfüllten, sind verhallt. Der Schlagbaum am Kasernentor senkt sich schon seit Wochen nicht mehr, und auch die Wachen, die einst dafür sorgten, dass kein ungebetener Besucher aufs Gelände kommt, sind verschwunden.“ – So zu lesen am 26. September 1991 in der Nienburger Tageszeitung „Die Harke“, die damit den Abgesang auf rund 30 Jahre Bundeswehr in der Loccumer Heide einläutete. An jenem Tag gab es einen letzten Empfang. Danach war die Heide als Bundeswehrstandort passé.

1960 ist die Loccumer Heide zum Bundeswehrstandort umgewandelt worden. 

 

1960 ist die Loccumer Heide zum Bundeswehrstandort umgewandelt worden. ade

Denkt Klaus Jordan an seine Zeit auf dem Gelände zurück, dann fallen ihm weniger martialische Beschreibungen ein. Vom 3. Januar 1961 bis zum 31. März 1962 leistete er seinen Wehrdienst in Loccum ab. „Inklusive drei Monaten Verlängerung als Reservist, weil der Kalte Krieg begann“, wie er betont. Für ihn, sagt er, waren diese 15 Monate die die sorgenloseste Zeit seines Lebens, da alles befohlen wurde. „Aber das war nicht viel, so dass viel Raum für die eigene Gestaltung bestand.“

In der Grundausbildung mussten er und seine Kameraden zwar, wie alle anderen auch, mit schwerem Gepäck lange Märsche machen oder durch schlammiges Gelände robben. Danach habe sie in der Heide aber das große Los getroffen: Dort befand sich das Versorgungsbataillon für die Nienburger Kaserne, sie waren also dafür zuständig, dass von Wäsche bis Munition Nachschub für Langendamm vorrätig war und bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden konnte. Keine allzu schwere Arbeit, aber eine, durch die es immer etwas zu tun gab.

Wurzeln hat Klaus Jordan in Loccum geschlagen, als er seine Frau Ursula kennenlernte. 


Wurzeln hat Klaus Jordan in Loccum geschlagen, als er seine Frau Ursula kennenlernte. ade

Ein zweiter Grund für Jordans gute Erinnerungen liegt womöglich in seiner Ursula. Ursula Schumacher, Loccumerin, ein wenig schüchtern, aber Freundin von Margot Beushausen, der Jordan einen Gruß von einem ehemaligen Schulkameraden ausrichten sollte. Pflichtschuldigst erledigte er den Auftrag als er gemeinsam mit seinem Kameraden Klaus Bederke auf ein Bier nach Loccum fuhr – ins Hotel Beushausen, in dem Margot als Tochter der Wirtsleute bediente. Der überbrachte Gruß stiftete eine Ehe – zwischen Margot Beushausen und Klaus Bederke.

Da er künftig nicht als fünftes Rad am Wagen dabei sein wollte, erkundigte sich Jordan bei der jungen Frau nach deren Freundinnen. Sie versprach, mit der Ursula zu reden.

Busenfreundin Ursula Schumacher zeigte sich zunächst wenig entzückt. „Ich wusste doch nicht, ob er gute Absichten hat und nach der Bundeswehr in Loccum bleibt“, erläutert sie ihr Zögern. Doch Jordan blieb hartnäckig, warb weiter um die junge Frau und irgendwann, erzählen beide lachend, gab sie ihm nach und ging mit ihm aus. 1965 wurde geheiratet, sie blieben in Loccum und mittlerweile ist selbst die Goldene Hochzeit Geschichte.

Zehn blieben in Loccum

Sie sind nicht die einzigen, deren Bund fürs Leben durch den Bundeswehrstandort angebahnt wurde. Auch Bederke blieb und mit ihm und Jordan allein acht weitere der 120 Rekruten, die am 3. Januar 1961 zum ersten Mal Loccum erblickten.

Ein Wiedersehen mit etlichen weiteren dieser Truppe gab es genau 50 Jahre später, am 3. Januar 2011. Zu diesem Jubiläum reisten 26 von ihnen erneut an und hatten es leicht, wieder in Erinnerungen zu schwelgen.

50 Jahre nach Beginn ihrer Wehrdienstzeit in der Loccumer Heide haben sich 26 Männer erneut getroffen. 

50 Jahre nach Beginn ihrer Wehrdienstzeit in der Loccumer Heide haben sich 26 Männer erneut getroffen. ade

 

Einer derjenigen, die blieben, ist Peter Heinze und er hat etwas, womit nicht viele aufwarten können: Ein sorgsam gehütetes Fotoalbum, das einen Eindruck von der Stimmung vermittelt, die seinerzeit in der Heide herrschte.

Während Jordan als Fahrer in einer Schreibstube landete und als Fahrer des Kompaniechefs eingeteilt wurde, hatte Heinze eine Kochmütze aufgesetzt bekommen. Mit der Mütze posierte er für das eine oder andere Foto, hat in seinem Album aber auch Bilder von Freizeitbeschäftigungen aufbewahrt – bis hin zum Bau eines Schneemannes mit freiem Oberkörper.




Mit Kochmütze posiert Peter Heinze 1961 in der Loccumer Heide. 


Mit Kochmütze posiert Peter Heinze 1961 in der Loccumer Heide. Peter Heinze

 

Was die Bilder außerdem zeigen, sind Ansichten des Birken- und des Steinlagers. Das Birkenlager ist heute Gewerbegebiet mit Tischlerei, Zeltverleih und dem Unternehmen, das unter anderem für Münchehagens Dinopark die lebensgroßen Urzeitwesen schmiedet. Im Steinlager befindet sich mittlerweile eine Blindenwerkstatt in der Menschen mit Sehbeeinträchtigungen arbeiten und leben.

Ihre Namen haben die beiden Lager lange vor der Zeit erhalten, in der sie Bundeswehrstandort waren, denn die Geschichte der militärischen Nutzung des Geländes reicht viel weiter zurück.

 



Militärgeschichte der Loccumer Heide seit der NS-Zeit

In den 1930er Jahren bauten die Nationalsozialisten ein Reichsarbeitsdienstlager in der Heide – Holzbaracken im Birkenlager, gemauerte Gebäude im Steinlager. Sie dienten der Unterbringung junger Männer aus dem eigenen Land, die eingesetzt wurden, um beim Bau eines Schleusenkanals zwischen Windheim und Lahde zu helfen.

Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab es andere Pläne für das Gelände westlich von Loccum: Dort sollte ein Tankstofflager errichtet werden, um unter anderem Treibstoff für den Luftwaffenstützpunkt Wunstorf zu lagern. Schon wenig später mussten erste Kriegsgefangene die schwere Arbeit des Lufttanklagerbaus leisten und wurden in den Baracken des Birkenlagers interniert.

Das Lufttanklager ist niemals fertiggestellt worden. Bevor es in Betrieb gehen konnte, überquerte die britische Armee im April 1945 die Weser und zog gen Loccum. Um es nicht dem „Feind“ in die Hände fallen zu lassen, setzten Verantwortliche des Tanklagers Teile davon in Brand.

Das Birken- wie das Steinlager dienten nach Kriegsende zunächst als Zufluchtsort für Displaced Persons – Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, die als Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter oder als KZ-Häftlinge nach Deutschland verschleppt worden waren und nun aus diversen Gründen nicht in ihre Heimat zurück konnten oder wollten. In erster Linie lebten in diesen Jahren Polen in den Lagern.

Es folgten andere Nutzungen. Im Steinlager gab es bereits von 1948 bis 1960 eine Blindenwerkstätte, im Birkenlager unter anderem eine Konservenfabrik.

Das alles änderte sich, als die Bundeswehr sich für den Standort interessierte. 1960 zogen die ersten Rekruten ein und in der Loccumer Heide wurden bis 1971 rund 10.000 Wehrdienstpflichtige ausgebildet. Solche wie Jordan und Heinze.

Aus einer der Baracken des Birkenlagers schauen um 1961 Rekruten heraus. Peter Heinze


Aus einer der Baracken des Birkenlagers schauen um 1961 Rekruten heraus. Peter Heinze

 Lachend erzählt Jordan, dass die Ausrüstung der ersten Tage lediglich aus Trainings- und Schlafanzügen bestand. Ihre Sporttauglichkeit durften sie am Morgen nach der Ankunft mit Klimmzügen beweisen. Mangels anderer Turngeräte zogen sie sich an einem WC-Abfallrohr samt Spülkasten in die Höhe, das zwischen zwei Birken aufgehängt worden war.

Ab 1971 änderte die Bundeswehr die Nutzung. Lange Aufenthalte in der Heide gab es nicht mehr, statt der Rekruten zogen nun Reservisten ein. Zwei bis vier Wochen – länger blieb keiner von ihnen. Stattdessen waren es aber bis zu 400 gleichzeitig, die ihre Wehrübungen ableisten mussten. Bis zur Schließung des Standorts lernten so mehr als 30.000 Männer die Heide und Loccum kennen.

Einer, der den überwiegenden Teil dieser Zeit mitbekommen hat, ist Heino Kawen – und auch er ist ein Gebliebener, lebt nach wie vor mit seiner Frau in Loccum.

Stabsfeldwebel Kawen kam 1973 nach Loccum, gehörte zum festen Personal und blieb bis zur Auflösung des Standortes. Mit Frau und Kindern lebte er zunächst in einer von der Bundeswehr zur Verfügung gestellten Wohnung in Loccums Memelstraße – wie viele andere Soldatenfamilien auch.

Bundeswehr gestaltet auch Dorfleben

Für Loccum waren sie ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor und auch im Dorf gestalteten diese Familien zunehmend mit – ob es nun Unterstützung mit Personal und Equipment beim Schützenfest oder beim Anlegen eines Sportplatzes waren oder das Überlassen von Flächen auf dem Kasernengelände zum Kreisjugendfeuerwehrzeltlager 1977.

Die Aussichten für den Standort waren rosig, die Bundeswehr gewillt zu investieren. Noch 1980 ließ sich die Bundesregierung eine neue Sporthalle 1,2 Millionen DM kosten. Die Klimmzüge am WC-Abfallrohr gehörten damit endgültig der Vergangenheit an. Bald darauf gab es Pläne für neue Unterkunft- und Wirtschaftsgebäude. 30 Millionen DM veranschlagte der Bund dafür.

Doch dann schlug die Stimmung um. 1988 tauchten erste Presseberichte auf, in denen die Rede davon war, dass alle Pläne hinfällig seien und die Investitionen gestrichen.

Ende 1989 stand endgültig fest, dass das Steinlager kurzfristig geräumt werden sollte. Der Kalte Krieg war beendet, nun galt es, Unterbringungen für Spätaussiedler und Umsiedler aus den Ostblockstaaten zu finden. Die Loccumer Heide hatte sich für ähnliche Zwecke zuvor bereits bewährt und der Standort wurde kleiner. Im September 1991 zog die Bundeswehr auch aus dem Birkenlager aus.

Das Betreten des ehemaligen Standortes des Tankstofflagers ist nach wie vor verboten. 

Das Betreten des ehemaligen Standortes des Tankstofflagers ist nach wie vor verboten. ade

Die Geschichte der Heide geht jedoch weiter. 1997 entstand das Gewerbegebiet im Birkenlager, zwei Jahre später wurde das Steinlager erneut zur Blindenwerkstätte. Die Flächen, auf denen zur NS-Zeit das Tankstofflager gebaut wurde, sind nach wie vor militärischer Sicherheitsbereich. Gelegentlich nutzt die Feuerwehr sie für Übungen, ansonsten ist das Betreten verboten. Nur Bundeswehr-Hubschrauber kreisen dort noch und Üben das Landen auf einer verbliebenen Plattform.

Juni 2024

Beate Ney-Janßen

Heino Kawen arbeitet derzeit an einer Chronik zur Militärgeschichte der Loccumer Heide. Über Hinweise per E-Mail an heinokawen@gmail.com ist er dankbar.