Bad Rehburger Duftnoten
Teefabrik Hiller produziert seit 1916 im Kurort
Schnuppern. Damit beginnt für die Mitarbeiter der Romantik Bad Rehburg der Arbeitstag. Schnuppern, innehalten und erforschen, welcher Duft durch den Ort zieht. Orange? Malve? Apfel? Das wechselt, aber nahezu immer schwingt das zarte Aroma von Hibiskus im Hintergrund mit. Der betörende Duft, der zur Romantik herüberzieht, strömt aus der benachbarten Teefabrik. Und das schon seit mehr als 100 Jahren.
Eine Teekanne weist auf das hin, was im Haus produziert wird. ade
Geschäftsführer Jörg Hiller, Geschäftsführer von „Hiller KG Tee und Naturprodukte“ ist mit diesem Duft aufgewachsen – und mit dem Bewusstsein für Tee und andere Lebensmittel, die für gesunde Ernährung stehen. Wie schon sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater.
Uropa Georg suchte gesunde Lebensweise
Der Ursprung des Unternehmens geht auf Uropa Georg zurück. Der versuchte gegen Ende des 20. Jahrhunderts einer schweren Krankheit Herr zu werden und kam auf die Spur eines Vegetarier-Clubs. Diese Idee faszinierte ihn. So sehr, dass er allem Fleisch abschwor und mehr noch: Er wollte seine Erkenntnisse einer gesunden Lebensweise anderen mitteilen und schrieb – allem Anschein nach reichlich erfolgreich – mehrere Bücher.
Gleichzeitig stieg er in den Kolonialwarenhandel ein. Ab 1907 gab es bei Hiller Bananen, Kakao und Kaffee im Versand. Bis 1916 verschickte er diese Waren aus Lagerstätten in Hannover, kaufte dann aber ein Gelände in Bad Rehburg und gründete dort die „Rehburger Diät- und Teefabrik“.
Einer der Produktionsräume des Unternehmens in den 1950er Jahren… privat
… und in aktueller Ansicht mit Geschäftsführer Jörg Hiller. ade
Der Grund für den Umzug ins Nienburgische Land lag wiederum in Georg Hillers Gesundheit: Er war an Tuberkulose erkrankt, kam zur Kur nach Bad Rehburg und genoss das milde Klima in den Rehburger Bergen so sehr, dass er der Großstadt den Rücken kehrte. Dadurch kam der kleine Kurort zu seiner eigenen Teefabrik, die bis heute – 108 Jahre später – immer noch am selben Ort wie damals steht.
Ja, die Parksituation vor dem Haus sei nicht optimal, bestätigt Jörg Hiller beim Rundgang durch die Teefabrik. Das Gebäude insgesamt verbaut und Reparaturen seien an der Tagesordnung. An dem Lastenaufzug, der Säcke voller Zutaten für Tee oder Müsli von einem Stockwerk ins andere transportiert, weist ein vergilbtes Schild mit altertümlicher Schrift auf die Tragkraft der Maschine hin. „Der älteste Aufzug im Landkreis Nienburg“, sagt Hiller.
Der Charme des alten Gebäudes zeigt sich am Lastenaufzug, der laut Jörg Hiller der älteste im Landkreis Nienburg sein soll. ade
Zöge die Teefabrik aus diesem Haus aus, könnte sicherlich in vielerlei Beziehung effizienter gearbeitet werden. Ihren ganz eigenen Charme haben die Räume treppauf, treppab aber allemal und das gilt auch für den winzigen Laden im Haus, in dem Hillers Tee zum Verkauf steht. Was dort über den Ladentisch geht, genügt allerdings bei weitem nicht für die Mengen, die 25 Mitarbeiter produzieren. Daraus folgt: Der Versandhandel ist nach wie vor das Kerngeschäft des Familienunternehmens. In kleinen handlichen Gebinden für den privaten Haushalt oder auch für ganze Mensen in fünf Kilogramm schweren Tüten verlässt Tee auf dem Postweg die Fabrik.
Hiller gründet erstes vegetarisches Restaurant Deutschlands
Doch zurück zur Unternehmens-Philosophie. Die lautet nach wie vor, dass gesunde Ernährung wichtig ist. Und gesund heißt bei Familie Hiller, dass sie sich bereits in fünfter Generation vegetarisch ernährt. „Fast Veganer“ sei er, sagt Jörg Hiller. Ein Grund liege darin, dass er in einem vegetarischen Elternhaus aufgewachsen sei und die Überzeugung von Uropa Georg Familien-Tradition bleibe. Andererseits, erzählt er, seien es auch ethische Gründe, aus denen er auf Fleisch verzichte. „Aber es wird jedem aus unserer Familie freigestellt!“, fügt er mit Nachdruck hinzu.
Die vierte und die fünfte Generation: Jörg Hiller und seine Tochter Jessica Sommerfeld. ade
Das bestätigt auch Hillers Tochter Jessica Sommerfeld, die seit neun Jahren im Unternehmen mitarbeitet. Für sie ist es kein Problem, dass ihr Mann Fleischprodukte im gemeinsamen Kühlschrank lagert. Nur sie selbst greift nicht in dieses Fach.
In diese Linie passt auch, dass Hillers Großvater – ebenfalls Georg mit Vornamen – 1960 das erste vegetarische Restaurant Deutschlands gründete. Das Restaurant „Hiller“ existiert immer noch in Hannovers Blumenstraße und bietet mittlerweile vegane Speisen an.
Der Chef ist auch der Sommelier
Zum Gespräch über Familie, Vegetarismus und das Unternehmen haben Jörg Hiller und Jessica Sommerfeld selbstverständlich Tee serviert. Der Duft von Gewürzen wabert durch die Büroräume und in gläserner Kanne leuchtet die Weihnachtsmischung in sanftem Rotton. Der Weihnachtstee ist nur eine von nahezu 50 Früchtetees, die im Angebot sind. Da bleibt nur noch eine letzte Frage an Vater und Tochter: Wer ist für das Kreieren neuer Sorten zuständig?
Mitarbeiter des Unternehmens in den 1950er Jahren vor dem Gebäude der Teefabrik. privat
Seit 105 Jahren stellt Familie Hiller in diesem Haus in Bad Rehburg Tee und Naturprodukte zusammen. ade
„Das bin wohl ich“, sagt Jörg Hiller und deutet auf eine Tür. Dahinter verberge sich seine Laborküche. Dort sucht er nach neuen Geschmacksrichtungen und lässt die Kreationen über die Zunge rollen. Ein Sommelier für Tee.
Gefällt ihm selbst das Ergebnis, serviert er seinen Mitarbeitenden die neue Kreation. Und besteht der Tee diesen Test mit Bravour, wird das Rezept in die Produktion gegeben. Auf dass eine neue Duftnote durch Bad Rehburg schweben kann.
Beate Ney-Janßen
Februar 2024