Altpapiergruppe im Unruhestand
„Im Ruhestand“ – das betont Barbara Petzold oft, wenn sie auf das zu sprechen kommt, was ihr ein Lebensinhalt geworden ist: Die Altpapiergruppe der evangelischen Jugend in Loccum. Der Ruhestand, auf dem sie beharrt, trifft allerdings nur partiell zu. Wovon Besucher von Wirtschaftsschau, Herbstmarkt und Klostermarkt in Rehburg-Loccum sich regelmäßig überzeugen können.
Unermüdlicher Einsatz: Barbara Petzold hat die Altpapiergruppe viele Jahre geleitet. Ein Erinnerungsstück ist die Spardose in Form des Bauwagens, mit dem sie – auch - zu vielen Kirchentagen gefahren sind.
Unübersehbar ist dieser Stand der Altpapiergruppe auf jeden Fall – und das hoffen auch alle sehr, die sich zugehörig fühlen. Schließlich haben sie schwer geschuftet für den Aufbau, haben tonnenweise Bücher bewegt und stehen sich danach stunden-, manchmal tagelang die Füße platt, um an Mann, Frau und Kind zu bringen, was sie im Angebot haben: Bücher in feinster Auswahl, zum kleinsten Preis und trotz Präsentation in Obstkartons feinsäuberlich nach Themen geordnet.
Weil diese Bücherstände mittlerweile in erster Linie präsent sind, wenn es um die Altpapiergruppe geht, ist es womöglich angeraten, die Geschichte ungefähr in der Mitte zu beginnen. Genauer gesagt an jenem Tag, als eines der Kinder, die in Loccum Altpapier einsammelten, aufgeregt mit einem Buch in der Hand zu Klaus Petzold gelaufen kam. „Das darf man doch nicht wegwerfen!“, rief der Pöks schon von weitem und wedelte mit einer Bibel, die er aus den Stapeln gefischt hatte.
Das sah Klaus Petzold – er hatte die Gruppe gemeinsam mit seiner Frau Barbara gegründet – genauso. Ebenso wenig dürften die vielen anderen Bücher entsorgt werden, die zwischen alten Zeitungen und Prospekten immer mal wieder hervorrutschten. Aber was sollten sie damit tun?
Bücher retten seit 30 Jahren
Etwas Überlegungs- und Beratungszeit später stand der Plan fest: Statt für gut erhaltene Bücher den Altpapierpreis je Kilogramm vom Entsorger zu bekommen, wollten sie lieber Bücher aus dem Altpapier fischen und sie als Secondhandware verkaufen. Es mussten sich doch Leute finden, denen diese Bücher lieb und gar nicht teuer sein könnten.
Wann dieses Kind mit der Bibel wedelte und der Plan für die Bücherstände reifte, weiß Barbara Petzold nicht mehr genau. Aber 30 Jahre, sagt sie, mag es wohl zurückliegen. Seitdem sind die Stände von Rehburg-Loccums Märkten nicht mehr wegzudenken und zählt die Altpapiergruppe ihren Erfolg in leeren Obstkisten.
Ein Blick ins Refugium im Haus Petzold: Bücher stapeln sich an allen Wänden und warten auf den Verkauf.
Auf diese leeren Kisten baut Barbara Petzold noch aus anderem Grund. Für sie bedeuten sie Platz. Platz, den sie in ihrem Bastelzimmer, der Garage und dem Flur wieder haben wird. Irgendwo mussten die Bücher trocken gelagert werden, das Ehepaar Petzold gab dafür bereitwillig einige Räume her. Auf Dauer, seit wohl 30 Jahren. Denn die Lücken in den Reihen schließen sich immer wieder schnell. Es hat sich längst herumgesprochen, dass überzählige Bücher an dieser Adresse richtig sind und nicht nur aus Loccum fahren Menschen mit Taschen und Kisten voller Bücher vor, um sie zu spenden.
Selbst vor fünf Jahren, als ein technischer Defekt in Petzolds Haus zu einem Schwelbrand führte und alle Bücher vernichtet wurden, war es nur eine Frage der Zeit, bis alle Bestände wieder aufgestockt waren.
Erlöse aus Verkauf werden gespendet
Spenden sind ein weiteres gutes Stichwort – denn seit Anbeginn geht der Erlös aus dem Verkauf an diesen oder jenen guten Zweck. Mittlerweile wird gedrittelt: Ein Teil für Loccums Gemeindebücherei, ein weiterer für den Sozialfonds der Stadt, der letzte für ein Projekt zur Unterstützung von Kindern irgendwo in der Welt.
Aber die Bücherstände waren nur ein Nebenprodukt der Gruppe. Allerdings jenes, das nach der Auflösung 2008 – deshalb „im Ruhestand“ – weiter Bestand hatte.
Der ursprüngliche Grund für die Gründung der Gruppe war der Aufbau evangelischer Jugendarbeit in Loccum. Als Zugereiste mit Kirchenbezug und einer Schar eigener Kinder schrieb das Ehepaar Petzold sich dieses Ziel auf die Fahne und holte sich gleich einen zweiten Aspekt ins Haus: Diese Gruppe sollte sich auch mit Umweltfragen auseinandersetzen – und sich außerdem selbst finanzieren.
Ungezählte Jugendliche haben geholfen, willige Helfer gab es auch unter den Erwachsenen – wie hier im Jahr 2002.
So wurde die Idee der Altpapiersammlungen geboren, die der Gruppe zu ihrem Namen verhalfen. 1983 ging es los und das mit starkem Einsatz. Vier Mal pro Jahr sollten die Kinder und Jugendlichen in Loccum Altpapier vor den Häusern des Dorfes einsammeln, achtmal die Kisten und Bündel an den Containern auf dem Schützenplatz annehmen. Was sie dazu brauchten, waren viele junge Hände, die bereitwillig zupacken mochten und etliche Erwachsene von denen einige auch bereit waren, Trecker und Anhänger durch das Dorf zu kutschieren.
Beides kam schnell zusammen. Und die Gruppe wuchs. So sehr, dass aus einer Gruppe bald viele wurden und sie sich beileibe nicht nur mit dem Sammeln des Papiers beschäftigten.
Barbara Petzold blättert ihre Fotoalben auf und erzählt von den Freizeiten, die sie gemacht haben. In der näheren Umgebung, auf Höfen oder in Gemeindehäusern. Hin und zurück sei es immer mit dem Fahrrad gegangen. „Wegen der Umwelt.“ Einmal im Jahr stand außerdem eine Fahrt in den bayrischen Wald an – zur Rübezahl-Hütte aus Barbara Petzolds Kindertagen. Kanu-Touren hat es gegeben. Eine davon führte die Altpapiersammler sogar bis nach Frankreich auf die Ardèche, wo sie in traumhafter Kulisse paddeln durften.
Nur ein Aufbruch von vielen: 2003 ging es für die Altpapiergruppe mal wieder zu einem Kirchentag. Berlin war auch das Ziel für Bauwagen Kaschu.
Außerdem verfügten sie über Kaschu, ihren Bauwagen. Den hatten sie nach dem Mann aus Polen getauft, der ihn für sie hergerichtet hatte. Mit Betten für bis zu acht Leute und einer Zulassung, so dass er auf große Fahrt gehen durfte. So manchen Kirchentag hat Kaschu zu sehen bekommen und wurde dort zur Teestube umfunktioniert – auch wenn die ehrenamtlichen Fahrer schon mal 20 Stunden mit 20 Kilometern pro Stunde über Landstraßen bis nach Berlin zockeln mussten.
Viele Loccumer entscheiden sich gegen blaue Tonne
Überzeugend im Dorf konnte die Altpapiergruppe zudem sein. Etwa 2008, als sie dachten, dass es ihnen an den Kragen gehe, weil die Loccumer plötzlich blaue Tonnen bekamen. Vorher hatten sie wählen können zwischen ihrer Jugendgruppe und öffentlichen Containern in anderen Dörfern. Nun sollte es für alle sehr bequem werden mit der Tonne auf dem eigenen Hof. Wer würde dann noch sein Papier für die Gruppe sammeln? Der Hilferuf der Jugendlichen und die inständigen Bitten, auf die Tonne zu verzichten, zeigten Wirkung: 60 Prozent der Loccumer haushalte entschieden sich, ihre Altpapiergruppe weiterhin zu beliefern.
Erfolgreicher Einsatz: Altpapiertonnen haben sich bis heute in Loccum nicht durchgesetzt.
Zu den Erinnerungen, die Barbara Petzold sorgsam aufbewahrt, zählen außerdem die Jahresprogramme der Altpapiergruppe – natürlich auf Recyclingpapier gedruckt. Katzen-, Eichhörnchen- und Bärengruppe werden dort Angebote in Aussicht gestellt. Dazu gab es eine Gitarrengruppe – und natürlich jene, die sich um die Sammlungen kümmerte. Basteln, spielen, Abenteuer erleben – nicht wenige, die als Eichhörnchen anfingen, leiteten Jahre später selbst eine Gruppe.
Und der christliche Aspekt? Kam auch immer zum Tragen. Mit Friedensnächten in der Klosterkirche oder Andachten während der Freizeiten. Mindestens zwei der Jugendlichen haben sich später entschieden, Pastor zu werden.
Bis 1991 war Klaus Petzold der Häuptling der Truppe, seine Frau diejenige, die ihm in allem zur Seite stand. Doch dann trat er eine neue Arbeit an, war nur noch an den Wochenenden in Loccum. Woraufhin sie ganz selbstverständlich auch seinen Part übernahm. Eine Vollzeitaufgabe – die ihr 2002 mit dem Bundesverdienstkreuz gedankt wurde.
Dank für den Einsatz: Barbara Petzold bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Doch irgendwann ließen auch ihre Kräfte nach, wollte sie sich zurückziehen. Die Aufgabe war aber wohl zu groß. Sie fand niemanden als Nachfolger. So feierte die Altpapiergruppe 2008 noch ihr 25-jähriges Bestehen und löste sich kurz darauf auf. Das Aufhören, sagte Klaus Petzold damals, sei für sie nicht wichtig. 25 Jahre Jugendarbeit aber sehr wohl.
Einen Teil dieser Jugendarbeit hat Loccums Feuerwehr übernommen. Deren Jugendabteilung fühlt sich seit 2008 zuständig für das Einsammeln im Dorf.
April 2024
Beate Ney-Janßen
Wer der Altpapiergruppe im Ruhestand begegnen und in ihrem Sortiment stöbern möchte, bekommt dazu beim Herbstmarkt in Loccum am Wochenende vom 9. und 10. November Gelegenheit.
Wer hingegen Bücher abzugeben hat, die die Kisten der Altpapiergruppe wieder auffüllen können, ruft Barbara Petzold unter (05766) 1257 an.
Die Bücherstände auf den Rehburg-Loccumer Märkten haben viele Liebhaber – und manchmal sind sie sogar tierisch.