Königliches Märchenland der Romantik – Bad Rehburg
Patsch! – Ein zaghafter Knall schallt durch die Stille des Waldes. „Hihi!“ Lottas Lachen, das gleich darauf folgt, ist ungleich lauter. „Die Hexe ist im Ofen“, kräht sie begeistert.
Ja, ist sie wohl. Grimms Hexe aus Hänsel und Gretel, der Lotta eben begeistert einen Klaps auf den Allerwertesten gegeben hat, um sie auch wirklich im Ofen verschwinden zu lassen. Dort oben auf dem Brüder Grimm Märchenweg, der sich durch die Rehburger Berge schlängelt.
Berge? Mancher Flachländer gerät auf den Waldpfaden leicht ins Schnaufen. Lotta mit ihren vier Jahren hüpft aber fröhlich weiter. Eines ihrer nächsten Ziele? Rapunzel am Turm. Am Wilhelmsturm, denn dort wartet nicht nur ein weiteres Märchen auf sie, sondern auch die Aussicht auf Limo und Bratwurst.
Immer wieder sonntags lädt Bad Rehburgs Kulturerhaltungsverein an dem mächtigen steinernen Turm dazu ein. Ein bisschen gruselt es Lotta, als sie das Märchen von Rapunzel erzählt bekommt. Aber es hat doch ein Happy End! Und gestärkt von der Bratwurst hüpft sie weiter zu neuen Abenteuern.
Die hölzernen Märchenfiguren am Wegrand in den Rehburger Bergen sind ziemlich neu und für sie begeistern sich beileibe nicht nur Kinder.
Ganz und gar nicht neu sind hingegen die Pfade, an denen die Geschichten der Brüder Grimm erzählt werden können. Sie bestehen schon seit der Zeit der Romantik und schreiben als Bad Rehburger Promenaden seit Jahrhunderten Geschichte.
Romantik! Eine Epoche, in der die Liebe zur Natur ganz obenan stand. Natur sollte ursprünglich sein. Ein wenig wild, aber irgendwie doch gezähmt.
Und schon stecken wir mitten in der Geschichte des hannoverschen Königshauses – das eine reichlich bedeutende Rolle in Bad Rehburg spielt, denn niemand Geringerer als dessen blaublütige Zeitgenossen verhalfen Bad Rehburg zur Blüte. Damals, als eine heiltätige Quelle sprudelte und sie sich zwecks Erholung und Pläsier in Kutschen auf den beschwerlichen Weg vom Schloss Herrenhausen zu den Rehburger Bergen machten.
Was sie hier vorfanden, wollten sie noch ein wenig schöner machen. Weswegen sie ihre königlichen Landschaftsgärtner anwiesen, ein Wegenetz in den Bergen anzulegen. Aber bitte mit Romantik!
Auf 34 Kilometern wandelten die Herrschaften hernach in den Bergen, ruhten an Plätzen mit Weitblick auf das Steinhuder Meer, trafen sich zum Tête-à-Tête in lauschigen Grotten, spürten dem Blätterrauschen unter exotischen Bäumen nach…
In den Jahrhunderten darauf gerieten diese Pfade in Vergessenheit, doch seit einigen Jahren werden sie nach und nach wieder erschlossen. Glück für Spaziergänger mit Hang zu Natur und Romantik. Und für hüpfende Kinder, die ihren Teil der Romantik mit den Märchen der Grimms bekommen.
Von all dem will Lotta noch nichts wissen. Hanna dafür aber umso mehr. Hanna Sandrock, der Lotta auf dem Rückweg in der ‚Romantik Bad Rehburg‘ begegnet.
Schon wieder Romantik? Wir waren doch schon mittendrin! „Unser Kulturzentrum heißt doch so“, sagt Hanna lachend und erzählt von Kunst und Kultur in den ehemals königlichen Badeanlagen.
Mal ein klassisches Klavierkonzert im historischen Saal der Wandelhalle, dann eine Vernissage im Blauen Salon. Jazz, der aus den Fenstern dröhnt, ein Vortrag über die Münchhausens oder auch ein Wochenende ganz im Zeichen von Kunsthandwerk – eigentlich sei immer etwas los, sagt Hanna.
Sie ist noch dabei, den ehemaligen Kurort für sich zu entdecken. Auf dem Märchenweg ist sie natürlich unterwegs gewesen, hat es sich auch nicht nehmen lassen, den Frosch zu küssen. Wer weiß. Vielleicht wird er ein Märchenprinz!,
Sie entdeckt aber auch immer mehr die Historie des Ortes für sich. „Spannend!“, sagt sie. Vieles hat sie nicht geahnt, als sie vor einiger Zeit Bad Rehburg zu ihrem Arbeitsplatz auserkoren hat. Im „Haus Viktoria Luise“ war eine Physiotherapie-Praxis frei geworden. Genau das, was sie suchte. Sie bereut keine Sekunde ihren Sprung in die Selbständigkeit an einem Ort, der seine Entstehung der Hoffnung auf Genesung zu verdanken hat.
Der Genesung? Ach ja – die heiltätige Quelle. „Nach den Wasserkuren kam aber noch viel mehr“, berichtet Hanna und lässt Bilder von Ziegenherden auferstehen, die die Bad Rehburger sich hielten, um ihren Kurgästen Molke anbieten zu können. Wenig lecker, meint sie und verzieht das Gesicht. Entsprechend wenig Kurgäste ließen sich darauf ein.
Wesentlich erfolgreicher, sagt sie, waren die Luftkuren. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Tuberkulose grassierte und Luftkurorte en Vogue wurden, sprangen die Bad Rehburger auf diesen Zug auf.
Das ist auch der Ursprung vom „Haus Viktoria Luise“, in dem Hanna nun ihre Praxis hat. 1886 wurde es als Sanatorium für Lungenkranke eingerichtet. Wer genau hinschaut entdeckt noch die Liegehalle, sagt Hanna. Seit 1969 ist es ein Wohn- und Pflegeheim – und eine von vielen Einrichtungen in dem 500 Einwohner zählenden Ort, die sich Gesundheit und Pflege verschrieben haben.
Eine dieser Einrichtungen, die früher einmal Sanatorium waren, liegt direkt neben der Romantik Bad Rehburg. „Maßregelvollzugszentrum“ steht auf dem Schild an der Einfahrt – eine Klinik, in der das Land Niedersachsen straffällige Suchtkranke therapiert. Eine Mischung aus Krankenhaus und Gefängnis, mitten im Kurort. „Ein Glück, dass es das gibt“, meint Hanna. Für die Patienten und auch für den Ort, für den die Klinik Arbeitsplätze bedeutet.
Zu ihr gehört auch ein Park. Einer von vielen in Bad Rehburg und womöglich derjenige, der am meisten gepflegt wird. Eine Gruppe von Patienten kümmert sich darum, dass es grünt und blüht. „Das Schöne daran“, erzählt Hanna, „ist, dass jeder dorthin gehen darf.“ Und geht auch schon los.
Dieser Park ist gezähmter als die Landschaft der Promenaden. Eine Liegehalle schmiegt sich in eine Ecke, für die Minigolfanlage werden am Empfang Bälle und Schläger kostenlos ausgegeben und auf einer der Bänke im Park sitzen zwei Männer auf einer Bank in der Sonne. Hanna grüßt, sie grüßen zurück. Die beiden, Günter und Dalip, erzählen, dass sie Patienten sind, berichten von sich und ihrem Alltag. Und davon, dass dieser Maßregelvollzug der einzige ist, in dem der Park für alle da ist. Das wusste Hanna noch nicht.
Auf dem Rückweg zur „Romantik“ fühlt sich Hanna wahrlich in der Zeit zurückversetzt: Klappernd und klackernd fährt eine Kutsche samt Brautpaar an ihr vorbei. Vom hohen Fahrersitz herab nickt ihr Christine Klingenberg majestätisch zu. „Unser Bad Rehburger Kutschenteam“, stellt Hanna das Gespann vor. Das werde gerne für Hochzeiten gebucht. Weil sich Paare im Saal der Wandelhalle zuerst von den Standesbeamtinnen trauen lassen und danach den kurzen Fußweg zur Friederikenkapelle zurücklegen können, um sich auch den kirchlichen Segen zu holen.
Auf dem Weg dort hinauf sind gerade jetzt Hans und Marie unterwegs. Dieses Pärchen ist legendär in Bad Rehburg, hat es doch um 1900 einen Barbiershop betrieben.
Barbierin Marie soll gar einem Bismarck mit dem Messer an den Hals gegangen sein. Damit kokettieren die beiden bis heute, wenn sie Gäste durch den Ort führen.
Der Pavillon, in dem die beiden wirkten, steht immer noch an der Alten Poststraße. „Kurz vorm Welfenhof“, beschreibt Hanna seine Lage. Wieder die Welfen, wieder der Adel. In diesem „Hof“ können Gäste gelegentlich an einer königlichen Tea-Time teilnehmen, die Wirt Achim Kapelle mit Liebe zum Detail zelebriert.
Wer sein müdes Haupt weich betten möchte, wird dazu ebenfalls im Welfenhof eingeladen – oder bucht sich in das Parkhotel ein. Von Grund auf saniert, aber mit dem typischen Charme des Badeortes kommt es daher. Zu diesem Zweck wurde es schließlich erbaut im Jahr 1753. Wenn Hanna gelegentlich mehr Gäste hat als sie bei sich zu Hause unterbringen kann, legt sie sie vertrauensvoll in die Hände von Hotelier Ralf Meier – beziehungsweise dessen Betten.
Und dann ziehe bald Rock’n’Roll ein, sagt Hanna, zeigt aufs Restaurant Carpe Diem in der Kuranlage und deutet einen Hüftschwung an. „Elvis lebt“, sagt sie im Brustton der Überzeugung. Jedenfalls Elvis-Darsteller Tode Banjanski, der immer dann, wenn er gerade nicht im Glitzerkostüm die Songs des Kings singt, Gastronom ist. Wenn dessen Gäste sich gut benehmen, sagt Hanna zwinkernd, flötet er ihnen schon mal ‚Love me tender‘ ins Ohr. Wo gibt es so etwas schon!?
Was Hanna dann noch an Bad Rehburg mag? Den zarten Duft von Hibiskusblüten, der über die Badeanlagen streicht. Seinen Ursprung hat er in der benachbarten Teefabrik Hiller, wo seit mehr als 100 Jahren Tee-Kreationen erdacht werden. Hanna atmet das Aroma tief ein – und stapft den Berg herauf. Schnell noch eine Tüte in dem kleinen Fabrikverkauf erstehen, nach Hause fahren, aufbrühen und genießen.